Das Farbdesign von Anschlag- und Zurrmitteln war in der Vergangenheit sehr konservativ und an normative Vorgaben angelehnt. Umso spektakulärer war 1994 die Entscheidung von RUD, seine Produkte mit einer pinkfarbenen Beschichtung zu versehen. Doch der Mut hat sich ausgezahlt: Die Farbgebung wurde ein Markenzeichen des Unternehmens und hat einen echten Wiedererkennungswert geschaffen. Hermann Kolb, heute Leiter des Geschäftsbereiches Anschlag- und Zurrmittel in der RUD Gruppe, war bei der Entscheidung dabei und hat die 30 Jahre in Pink komplett begleitet. Ein Gespräch über Industriedesign und die Frage, was es bei Kunden, Eigentümern und Mitarbeitern auslöst.
Herr Kolb, Sie waren mit von der Partie, als 1994 entschieden wurde, dass die Anschlag- und Zurrmittel von RUD künftig die Farbe Pink tragen sollten. Wie kamen Sie und Ihre Kollegen auf diese Design-Idee und was war die Motivation dahinter? Aus der Sicht Ihrer eher konservativen Branche war das ja damals wirklich spektakulär.
Ausgangspunkt war damals unsere bahnbrechende Entwicklung eines Kettensystems in der Güteklasse 10 (Grad 100). So etwas war bis dahin technisch nicht möglich gewesen – und so kam die Frage auf, wie wir dieses völlig neuartige Produkt auch optisch unverwechselbar machen könnten. Eingriffe in Bauteilgeometrie oder Bauteilphysik kamen nicht in Frage, und so wurde schnell klar: Wenn wir auffallen wollten, ging das nur über die Farbe. So kam es dann zu dieser spektakulären Farbgebung samt der entsprechenden Produktbezeichnung für Ketten, Schäkel, Haken und so fort: VIP 100. Die Zahl 100 steht natürlich für den Grad – und das VIP für „Verwechslungsfrei in Pink“.
Aber warum ausgerechnet Pink? – Es hätte im Farbspektrum ja durchaus auch andere auffällige Farben gegeben.
Das stimmt natürlich. Aber zum damaligen Zeitpunkt war die Farbe Pink in vielen Bereichen des täglichen Lebens ein Symbol für Fortschrittlichkeit – und entsprechend positiv besetzt. Auch heute steht sie ja noch immer für Progressivität.
Wie war denn Ihre erste persönliche Reaktion auf die Idee?
Ich selbst fand die Idee vom ersten Moment an charmant – um nicht zu sagen: sexy.
Und wie wurde das neue Design firmenintern aufgenommen?
Wie Sie sich vermutlich vorstellen können, wurde da durchaus gefrotzelt. In der Belegschaft gab es schon einige Diskussionen über das Für und Wider, aber am Ende sah die große Mehrheit das neue Design sehr schnell sehr positiv. Auch die RUD Eigentümerfamilie hat in dieser ungewöhnlichen, modernen Farbgebung ganz klar eine Chance gesehen.
Jetzt mal Hand aufs Herz: Pinke Anschlagmittel für überwiegend männerdominierte Branchen – hatte da wirklich niemand die Sorge, dass der Schuss nach hinten losgehen könnte?
Ein paar Bauchschmerzen gab es angesichts der anfänglichen Frotzeleien natürlich schon. Aber wir haben uns dadurch nicht beirren lassen.
Wann fiel die Entscheidung, das neue Design-Konzept wirklich durchzuziehen und wer hat das abschließend entschieden?
Die Entscheidung, den Schritt zu Pink auch wirklich zu gehen, fiel unmittelbar vor einer bereits angemeldeten Typenprüfung im März 1994. Final beschlossen hat das damals ein sehr kleines Führungs- und Kompetenzteam von vielleicht drei oder vier Leuten.
Wie lange hat es denn nach Ihrer Wahrnehmung gedauert, bis sich das Unternehmen mit dieser Farbe identifiziert hat und sie intern akzeptiert war? Wenn Produktdesign derart weit ins Corporate Design hineinreicht, hat das ja eine große Tragweite.
Innerhalb des Unternehmens kam die Identifikation mit dem neuen Farbdesign sehr schnell. Bis auch das Corporate Design umgestellt war, hat es natürlich seine Zeit gedauert. Aber der erste Produktkatalog war zum Marktstart bereits ziemlich pink eingefärbt. Dieser Katalog war schon eine Revolution.
Stichwort Marktstart: Wann haben Sie das neue Farbprofil erstmals öffentlich gemacht? Und wie fiel die Reaktion der Kunden aus?
Unseren ersten öffentlichen Auftritt mit den pinkfarbenen Anschlagketten hatten wir im April 1994, anlässlich der Hannover Messe. Die Kundenreaktionen reichten von ungläubigem Kopfschütteln bis hin zu spontanem Applaus für unseren Mut. Da war wirklich fast alles dabei. Auch in der Folgezeit gab es durchaus gemischte Reaktionen – vor allem in manchen Auslandsmärkten, in denen die Farbe Pink an bestimmte Vorurteile rührt. Dort gab es zum Teil auch eine gewisse Ablehnung. Das spüren wir gelegentlich noch heute.
Haben Sie je darüber nachgedacht, für solche Märkte ein anderes Design zu wählen?
Unsere Linie ist, dass wir zu unseren Entscheidungen stehen und auch vor Vorurteilen nicht einknicken. Insofern haben wir auch angesichts solcher ablehnenden Resonanzen ganz klar gesagt: Nein, wir machen keine Abstriche – eine RUD Kette ist eine RUD Kette, mit allem was dazugehört, inklusive der Farbe. Es entscheidet sich auch niemand gegen ein RUD Produkt, weil ihm die Farbe missfällt. In der Fachwelt ist so etwas kein Ausschlusskriterium.
Ab wann war bei den Kunden so etwas wie ein Gewöhnungseffekt eingetreten, also etwa im Sinne von: „RUD, das sind die mit den pinken Anschlag- und Zurrmitteln?“
Wir waren von Anfang an bemüht, unser Kernsortiment zügig auf die neue Güteklasse und damit auch die neue Farbe umzustellen, beginnend mit den Anschlagketten und Bauteilen in den Nenngrößen 6 bis 13 Millimeter. Ein Gewöhnungseffekt kam insofern schnell zustande.
Hilft die Farbe eigentlich beim Small-Talk? Vom ehemaligen Bundeskanzler Helmut Kohl war bekannt, dass in seinem Bonner Büro ein Aquarium stand. Bei Besuchen diente es oft als Gesprächseinstieg und lockerte so die Atmosphäre auf. Haben Sie bei den pinken Anschlag- und Zurrmitteln Ähnliches beobachtet, etwa auf Messen?
Gerade am Messestand ist das Design tatsächlich bis heute ein typischer Einstieg in viele Gespräche. Wenn Besucher uns fragen, warum unsere Produkte pink sind, haben wir fast schon gewonnen – denn das ist dann die perfekte Steilvorlage für unser Vertriebsteam.
Hatte das neue Design auch irgendeinen Effekt, mit dem sie ursprünglich nicht gerechnet hatten, der sich aber zum Vorteil von RUD auswirkte?
Einen solchen Effekt gab es in der Tat. Als wir Versuche zur Temperaturbeständigkeit der neuen Bauteile machten, haben wir festgestellt, dass sich die pinkfarbene Beschichtung deutlich und auch dauerhaft verändert, sobald die Anschlag- und Zurrmittel sehr hohen Temperaturen von mehr als 200°C ausgesetzt sind. Sie dunkeln dann sukzessive nach – wie stark, hängt von der konkreten Temperaturbelastung ab. Wir konnten hier eine regelrechte Farbtabelle erstellen, bei der die Farbe als Hitzeindikator dient. Der Anwender kann somit anhand des Farbwechsels der Beschichtung erkennen, welchem Hitzegrad das Bauteil ausgesetzt war. Wird die zulässige Maximaltemperatur von 380°C überschritten, verfärben sich die Bauteile tiefschwarz – dann weiß beispielsweise der Nutzer einer Kette, dass diese aus Sicherheitsgründen ausgetauscht werden muss, weil überhöhte Umgebungstemperaturen sehr wahrscheinlich ihre Festigkeit reduziert haben.
Wer ganz genau hinsieht, erkennt bei RUD eine hellere und eine dunklere Pink-Variante. Was steckt dahinter und wann wird welche Variante genutzt?
In diesen unterschiedlichen Pinktönen spiegeln sich zwei unterschiedliche Evolutionsstufen wider. Das ursprüngliche, hellere Pink steht für die Güteklasse 10 (Grad 100), die von 1994 bis 2007 unsere höchste Güteklasse war. Das dunklere Pink zeigt seit 2007 die Güteklasse 12 (Grad 120) an.
Wie wird die Farbe überhaupt aufgebracht?
Mithilfe einer Pulverlackierung. Die Bauteile werden in einer modernen Beschichtungsanlage mit dem pinkfarbenen Pulverwerkstoff besprüht, und diese Pulverschicht wird anschließend im Ofen angeliert und ausgehärtet.
Und wie lange hält so eine pinke Lackierung in der Praxis? Anschlag- und Zurrmittel sind ja starken mechanischen Belastungen und oft auch der Witterung ausgesetzt.
Es liegt in der Natur der Sache, dass so eine Beschichtung nicht für die Ewigkeit ist. Insbesondere wenn die Produkte in rauen Umgebungen eingesetzt werden, leidet die Farbschicht. Das lässt zwar keine negativen Rückschlüsse auf die Betriebssicherheit zu, vermindert aber natürlich die Erkennbarkeit als RUD Produkt. Gerade deshalb legen wir größten Wert darauf, dass unsere Produkte neben der farblichen Kennzeichnung auch eine dauerhaft eingeprägte Hersteller-, Güteklassen- und Chargenkennzeichnung haben.
Akzeptieren die Kunden die Farbe auch bei schweißbaren Anschlagpunkten, die ja in der Regel dauerhaft Bestandteil einer Maschinen- oder Anlagenkonstruktion bleiben? Oder muss das Pink hier stets dem Corporate Design des Anwenders weichen?
Auch die Mehrzahl der schweißbaren Anschlagpunkte wird mit einer pinkfarbenen Aufhängeöse ausgeliefert, die beim Lackiervorgang der gesamten Konstruktion sogar häufig abgedeckt wird, um die Farbgebung zu erhalten. Denn das Pink hat auch eine unmittelbar praktische Signalwirkung. Es zeigt an: Hier und nirgendwo sonst darf ich meine Kette anhängen bzw. befestigen. Viele Anwender sehen das als großen Vorteil an.
Wenn das Pink trotzdem weichen muss: Liefern sie solche Teile von vorneherein in einer anderen Farbe bzw. ohne Lackierung aus?
Selbstverständlich respektieren wir auch Kundenwünsche nach einer farbneutralen Oberfläche oder einer individuellen Farbgebung. Umso wichtiger ist dann die dauerhaft eingeprägte Hersteller-, Tragfähigkeits- und Chargenkennzeichnung. Sie ist letztlich der entscheidende Faktor beim Thema Sicherheit.
Einige Anschlagpunkte von RUD werden grundsätzlich in gelber Lackierung ausgeliefert, woher kommt diese Abweichung?
Das sind Anschlagpunkte, die als Ankerpunkte zur Personensicherung vorgesehen sind. Bei solchen Anschlagpunkten hat sich im Markt eine gelbe Lackierung als Erkennungsmerkmal durchgesetzt. Dem liegt keine Norm zugrunde, es ist einfach Usus geworden. Im Hinblick auf die jeweiligen Produkteigenschaften unterscheiden sich diese Anschlagpunkte aber nicht von denen, die fürs Heben oder Verzurren gedacht sind. Die einzigen Unterschiede bestehen in der Farbgebung sowie der PSA-Zertifizierung, die einen Anschlagpunkt als Ankerpunkt zur Personensicherung qualifiziert.
Kommen wir zum Abschluss nochmal auf die Farbe Pink zurück: Wie beurteilen Sie im Rückblick die Entscheidung für diese Farbgebung? Haben sich die Erwartungen erfüllt und würden sie sich nochmal so entscheiden?
Ja, auch rückblickend würden wir immer wieder so und nicht anders entscheiden. Unsere Erwartungen haben sich letztlich mehr als erfüllt. Die Restzweifel der Anfangszeit waren ohnehin schnell verschwunden und sind echter Begeisterung für die neue Farbgebung gewichen. Die Entscheidung war goldrichtig, das kann man nicht anders sagen. Und sie hat auch Zukunft: In Fachkreisen hat die Assoziation „RUD = Pink“ eine extrem hohe Akzeptanz erreicht, das wird nach meiner Einschätzung auch noch lange so bleiben.